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SHARM el-SHEIKH

Ägypten - Mai 1999

(Ein Reise- und Tauchbericht von Christine Norbert Roller)

 
 

Die Küstenlinie von Sharm el Sheikh hat eine einzigartige Tektonik. Bei Ras Nasrani, gegenüber des Gordan Reef, verschwinden plötzlich die sonst für diesen Teil des Sinai so typischen flachen Strände, und schroffe Felsklippen ragen nahezu senkrecht aus dem Meer. Diese Küstenverlauf setzt sich nahezu ununterbrochen bis zur Westseite von Ras Mohammed fort, wo ab dem Quay wieder flaches Terrain vorherrscht.
An verschiedenen Stellen dieser oben flachen Felsklippen, vor allem bei Ras Mohammed, sind bis heute die Spuren versteinerter Korallen zu sehen - sie sind ein Hinweis auf die Entstehungsgeschichte der Küstenstruktur: Das gesamte Riff wurde hier von gewaltigen Naturkräften aus dem Meer gehoben.

  Ägypten 1999 - Sharm el Sheik - Hotels entlang der Nordküste  
 

Der 65km lange Küstenabschnitt von Sharm el Sheikh gehört zu den üppigsten und berühmtesten Korallenriffen der Welt. Die wohl älteste, schon in der Zeit der israelischen Besatzung eröffnete Tauchbasis ist SINAI DIVERS, mit denen wir zahlreiche Tauchgänge unternommen haben. Von der Straße von Tiran über Ras Mohamed und bis zu den Wracks Richtung Suez Kanal.
Die Touren waren vorbildlich organisiert und wir hatten das Glück, fast ausschließlich mit der selben Bootscrew unterwegs zu sein. Die Tauchbegleiter waren sehr unterschiedlich, und wir konnten den über- vorsichtigen Ägypter dann in der Hälfte durch eine Japanerin ersetzen. Sie fotografiert auch sehr gerne und hat uns zu den schönsten Plätzen gelotst, ohne uns unter Wasser zu bemuttern. Eigentlich war sie froh wenn wir alleine loszogen. Gut für uns, denn dann konnten wir machen, was wir wollten, und mussten uns wenig an Tiefenlimits (30m) und sonstige Vorgaben halten.
Die Tauchgänge waren immer Tagesausflüge mit guter Verpflegung und starteten Morgens gegen 9 Uhr. Also war das Aufstehen (meistens) zu christlichen Zeiten möglich. Ägypten 1999 - Thistlegorm Wrack - DrawingNeben der Möglichkeit, an unbeschädigten Riffen mit Großfischgarantie zu tauchen, begeisterte uns der Gedanke, an einem der spektakulärsten Wracks im Roten Meer, der SS-THISTLEGORM, zu tauchen. Auf die farbefrohen Riffe freuten wir uns jedoch am meisten.

 
 

Der Entschluss, dort mit einer an der Tauchbasis geliehenen NikonosV unsere ersten professionellen Unterwasserbilder zu machen, begeisterte uns so stark, dass wir die lange Anreise gerne in kauf nahmen.
Schon um 4 Uhr wurden wir aus dem Schlaf gerissen und ohne Frühstück direkt auf das Safarischiff gebracht. Wir liefen kurz vor Sonnenaufgang aus und konnten diesen wenig später, wenn auch mit leichter Müdigkeit im Blick, genießen.

Die Anfahrt dauerte knapp 5 Stunden und ging entlang der Küste, vorbei am Ras Mohamed und ab der Sinai-Südspitze nach Norden in Richtung Suez. Schon von weitem konnten wir die Stelle erkennen, wo sie gesunken war, denn es lagen dort schon zahlreiche Boote.

  Ägypten 1999 - Thistlegorm Wrack - Eisenbahnwagen auf dem Oberdeck  
 

Eines war klar: Dies war an diesem Tag ein sehr begehrter Tauchplatz! Die Ausrüstung war schnell angelegt und schon waren wir zur Erkundung unterwegs. Da die Boote direkt über dem Wrack ankerten, konnten wir ohne Probleme in der starken Strömung sicher entlang der Ankerleine abtauchen.
Schon nach wenigen Metern Tiefe sahen wir das 131m große Wrack unter uns. Für den ersten Tauchgang hatten wir uns eine Umrundung und erst für den zweiten Tauchgang die Laderäume vorgenommen.
Direkt am Ende der Ankerleine stießen wir auf einen der beiden Tankeisenbahnwagen, die zwar leicht eingedrückt, aber ansonsten fast unbeschadet und noch immer festgezurrt auf dem Oberdeck standen.

  Ägypten 1999 - Thistlegorm Wrack - Paravan (Torpedosucher)  
 

Wir wechselten auf die andere Seite und erkundeten einen der "Paravane", den wir zuerst für einen Torpedo hielten. Diese wurden neben dem Schiff entlang gezogen und sollten bei Bedarf die Verankerungen von Wasserminen zerschneiden.
Lange konnten wir uns jedoch bei dieser starken Strömung auf dem Vorderdeck nicht aufhalten, denn wir wollten den Bug am tiefsten Punkt bei 31m umrunden und dann mit der Strömung die andere Seite erkunden und mit mindestens 80bar in der Flasche am Ankerseil wieder auftauchen. Hinter der ehemaligen Brücke erreichten wir ein Trümmerfeld, in das offensichtlich die Granate des angreifenden Heinkel He111 Wehrmachtsflugzeuge eingeschlagen war.

  Ägypten 1999 - Thistlegorm Wrack - Propeller, Schiffsschraube  
  Ägypten 1999 - Thistlegorm Wrack - gepanzertes Maschinengewehr auf dem Oberdeck  

Während das größere Vorderteil noch aufrecht im Sandboden steht, ist der Bug durch die Explosion fast abgesprengt und stark nach links abgekippt.

Der mächtige Propeller, der von einem dreizylindrischen Expansionsmotor mit 1.860PS angetrieben wurde, hat einen Durchmesser von etwa 5m.

Am Ruder angelangt wechselten wir auf die andere Seite und stiegen langsam zum Oberdeck auf.
Unser nächstes Ziel war hier das, noch aus dem ersten Weltkrieg stammende gepanzerte Maschinengewehr, das vollständig von Korallen besetzt und mit Schwämmen bewachsen war.

 
 

Über dem Trümmerfeld schwebend erkannten wir einzelne Munitionskisten sowie einen der beiden mitgeführten MK II Brenn Carrier (WWII Allround- Panzerfahrzeuge). Das 4,5 Tonnen schwere Panzerfahrzeug war fast bis zur Unkenntlichkeit bewachsen. Zu den Munitionskisten hielten wir gebührenden Abstand. Sicher ist sicher!

Einen Exkurs zu einer der in etwa 20m entfernt liegenden Lokomotive müssen wir bedingt durch die starke Strömung und die schlechte Sicht aufgeben. Der restliche Rückweg führte uns über einen Eisenbahn-Kohletender zurück zur Ankerwinsche. Wir erhaschten noch einen kurzen Blick in die Laderäume und schon ging es an unserer Ankerleine aufwärts.  

  Ägypten 1999 - Thistlegorm Wrack - Panzer MK II Brenn Carrier  
 

Dies war für uns ein überwältigender Tauchgang, und der Ausblick in wenigen Stunden die Laderäume zu erkunden, verdoppelte unsere Begeisterung.

Nach einem kleinen Mittagessen folgte eine kurze Ruhepause. Im kurzen Abstand von nur 2 Stunden wollten wir zum nächsten Tauchgang aufbrechen.
Während wir uns noch in der Sonne aalten, verpassten wir ein Erlebnis der besonderen Art. Eine Schule Delphine erschien zwischen den Booten, und nach einigen neugierigen Kreisen um die auf der Oberfläche dümpelnden Taucher tauchten diese zum Wrack hinunter. Das wäre es gewesen! Leider hatten wir noch eine Stunde Entsättigung vor uns und konnten es nur neidvoll beobachten.

  Ägypten 1999 - Thistlegorm Wrack - Munitionskisten  
 

Schon beim erneuten Abtauchen merkten wir, dass die Strömung nahezu nachgelassen hatte und damit die Bedingungen für einen "nicht geführten Tauchgang" deutlich besser.
Wir ließen der Gruppe den Vortritt und schwebten, mit reichlich Abstand in den ersten Laderaum. Jeder besteht aus zwei Etagen. Auf der oberen Etage fanden wir Morrison-Fahrzeuge in unterschiedlichem Grad des Verfalls.
Wir schwebten zwischen der niedrigen Decke und den Fahrzeugen und versuchten, möglichst wenig Sedimente aufzuwirbeln.
Die Motorhauben sowie sonstige dünnwandige Blechteile waren vielfach weg korrodiert. Die frei gelegten Motorblöcke wirkten wie geschmolzenes Metall.

  Ägypten 1999 - Thistlegorm Wrack - Kühler eines Morrison LKW  
 

Die Kühler waren schon vollständig verkrustet und teilweise mit Schwämmen besetzt. Das Besterhaltenste waren die Reifen, denen man die letzten 56 Jahre nicht ansehen konnte.

Die untere Etage, in der Kisten mit Mk3-Gewehren und sonstigen Kleinteilen lagerten, hatten wir vor lauter Begeisterung gar nicht mehr besucht.

Im zweiten Laderaum fanden wir die Überreste der BSA WDM20- Motorräder, die größtenteils auf den Ladeflächen der Bedford-Lastwagen deponiert waren. Leider hat nicht nur der Verfall sondern auch die Sammelwut vieler Taucher die Motorräder geschädigt.

  Ägypten 1999 - Thistlegorm Wrack - Kühler eines Morrison LKW  
  Ägypten 1999 - Thistlegorm Wrack - BSA WDM20 Motorrad   Ägypten 1999 - Thistlegorm Wrack - Morrison LKW  
 

Während wir tiefer in den hinteren Laderaum vordrangen, entdeckten wir noch Flugzeugtragflächen und allerhand andere Ersatzteile.
Etwas gespenstig war dann der Bereich mit einer riesigen Menge Gummistiefel, die schon wie zuvor bei den Reifen bemerkt, noch im besten Zustand befanden. Diese gefüllt mit Luft an die Decke zu "kleben", wie wohl viele Taucher vor uns, haben wir uns gespart. Durch ein größeres Loch in einer Trennwand gelangten wir direkt über das Trümmerfeld.
Voller neuer Eindrücke und mit einem vollen Film ließen wir uns zu den Deckaufbauten hinauftreiben.
Nach einem kleinen Zickzackkurs zur Ankerleine beginnen wir unseren letzten Aufstieg.

  Ägypten 1999 - Thistlegorm Wrack - Blick in den Laderaum voller Gummistiefel (Wellingtons)  
 
 

Text: Norbert Roller / Mai 1999
Fotos: Copyright by Norbert Roller
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