Safaga II
Unsere
zweite Jeep-Safari ging nach Norden zu einem Riff etwa 10 km südlich von Safaga.
Der Wind hatte seit Tagen
zugenommen, und die hohen Wellen und die starke Strömung hatten die Anzahl der
Tauchplätze auf zwei geschrumpft. Safaga II lockte uns jedoch trotz des Risikos
der Strömung mit einer Aussicht auf Haie. Selbst für die langjährig in diesem
Gebiet tauchenden Guides ist es nahezu unmöglich, die Strömung unter Wasser von
Land aus zu beurteilen. Wir stimmen in der Gruppe ab, ob wir das Risiko eingehen
wollten. Einstimmigkeit herrschte bei den Tauchern, nur der Guide war etwas
nachdenklich. Die Ausrüstung war schnell angelegt, und der beschwerliche Weg
über das Riff zu einem Einschnitt im Riff und dem für das Abtauchen gewählten
Kanal wurde schon abenteuerlich. Die Ebbe war noch nicht erreicht, und das vom
Riffdach ablaufende Wasser sowie die vielen Löcher im Riffdach machten die 50
Meter sehr beschwerlich. Einige krochen die letzten Meter bis zum Einstieg.
Mit den Worten des Tauch-Guides in den Ohren, genügend Luft
für den Rückweg durch den Kanal einzuplanen, werfen wir uns über die
Riffkante in den Kanal.
Die Strömung erfasst uns und sofort schießen wir im Kanal
entlang. Da ist es auch schon passiert! Aus dem Augenwinkel sehe ich wie mein
Buddy den falschen Abzweig nimmt und schon sind wir getrennt. Ich greife nach
dem ersten erreichbaren Riffblock und hänge mit nur einer Hand wie ein
Fähnchen im Wind, und warte. Eigentlich müsste dieser Abzweig eine Sackgasse
sein. Das Warten ist mir dann nach 10 Sekunden doch zu riskant und ich kämpfe
mich, mit allen Vieren und um Halt ringend, gegen die Strömung zurück und in
den Abzweig hinein. Schon nach wenigen Meter lässt die Strömung nach, die
Sichtweite wird besser und mein Buddy kommt, schon auf dem Rückweg, in Sicht.
Wir geben uns kurz das OK-Zeichen und schwimmen erneut im Hauptkanal. Wir
steuern nur mit den Flossen und versuchen die Abzweigungen und Riffstempel
rechtzeitig zu erkennen, um den Weg zum Ende des Kanals unbeschadet zu
erreichen. Wahnsinn, so muss Fliegen sein!
Der Kanal führt schräg nach unten, und auf 30 Meter lässt
die Strömung dann endlich nach, und wir können die im Briefing erwähnte
hufeisenförmige Korallenformation im trüben Wasser gerade noch erkennen.
Damit wir den Eingang auf dem Rückweg mit Sicherheit erkennen, legen wir aus
toten Riffresten einen großen Pfeil. Sicher ist sicher! Einige aus unserer
Gruppe sehen wir wesentlich höher, mit der Strömung nach Süden schwimmend und
auf der Suche nach den Haien verschwinden.
Die am Riff entlang fließende Strömung ist schwach, und wir
beschließen zum Hufeisen hinauszutauchen. Dort entdecken wir eine vollständig
mit einem roten Schwamm bewachsene Gorgonie. Nach einer ausgiebigen Fotopause
tauchen wir höher in Richtung der Gruppe in der Hoffnung auf ein Haibild. Bei
20 Metern nimmt die Strömung wieder deutlich zu. Schon nach wenigen Metern
beschließen wir umzudrehen, da wir definitiv mit 100 Bar am Kanal sein
möchten.
Dass
diese Entscheidung richtig war, merken wir schnell.
Gegen die Strömung kommen wir nur langsam voran und verbrauchen viel Luft und
Kraft. Wir tauchen wieder tiefer und finden gegen die geringere Strömung recht
schnell zum Hufeisen zurück. Wir haben noch deutlich über 100 Bar und
beschließen trotzdem den Tauchgang zu beenden. Als zusätzliches
strömungsungünstiges Handicap wird der "Aufstieg", nur mit einer Hand
und dem extra Wasserwiderstand der Kamera, anstrengend genug werden. Zur
besseren Orientierung schwimmen wir dicht über dem Grund langsam Richtung Kanal
zurück in die milchige Suppe. Bei 15 Metern Tiefe können wir dann aus eigener
Kraft keinen Vortrieb mehr erzeugen. Wir klammern uns an die Riffblöcke am Rand
des Kanals. Es ist viel schlimmer als erwartet. Wie Blätter im Sturm "fliegen"
Algen, Weichkorallen und ganze Riffteile an uns vorbei. Viel schneller als dass
wir genau erkennen können, was es ist. So muss es in einem Hexenkessel sein.
Meter für Meter kämpfen wir uns mit den Händen an Korallen
festhaltend und mit den Füßen abstützend voran. Nur nicht abrutschen, denn
dann muss man von vorne beginnen. Wir verbrauchen schnell viel Luft. Nach etwa
10 Meter machen wir den ersten Halt und warten, bis sich die Atmung beruhigt und
die Kräfte wieder zurückkehren. Statt weniger, wird die Strömung jedoch
beständig stärker. Wir erreichen den 5-Meter Bereich und klemmen uns mit dem
Rücken unter einen Überhang. Die Strömung drückt uns in den Bauch und somit
mit der Flasche genau gegen den Riffblock. Mit wenig Kraft können wir uns hier
ausruhen und unseren 3 Minuten Sicherheitsstop abwarten.
Wir haben noch knapp 70 Bar und das schlimmste Stück liegt
noch vor uns. Jeder kämpft für sich um den richtigen Halt, aber das "Training"
auf den Malediven hat uns eingebläut immer in Reichweite voneinander zu
bleiben. Wenn nur einer abrutscht...
Die
genaue Position im Kanal haben wir mit nur 2 Metern
Sichtweite nicht mehr. Es geht aufwärts und gegen die Strömung. Das kann nicht
so verkehrt sein. Mit aller Kraft ziehen wir uns weiter am Riff entlang und nach
einigen Meter erkennen wir unsere Sackgasse vom Anfang und wissen, dass es fast
geschafft ist. Wir sind jetzt nur wenige Meter unter Wasser und haben die
Riffkante vor uns. Diese ist noch 40cm mit Wasser bedeckt und glitschig. Wir
haben erhebliche Schwierigkeiten, einen sicheren Halt zu finden. Ich hänge mit
nur einer Hand in einem Riffloch und kann meinen Kopf aus dem Wasser heben. Die
ägyptischen Helfer stehen schon mit Seilen in der Hälfte zwischen Riffkante
und Ufer und schauen besorgt in unsere Richtung. Nach Winken mit der Kamera
verstehen diese, dass wir nicht alleine auf das Riffdach zurückkommen und eilen
zur Hilfe. Da passiert es. Die Strömung reist mir die Kamera aus den Händen.
Dass es dann doch nur Christine war, die mir helfen wollte auf das Riffdach zu
krabbeln erkenne ich erst, nachdem der Schreck vergangen ist. Der Ägypter zieht
mit aller Kraft, und ich robbe mich über das Riff nach vorne. Nach etwa 25
Metern gelingt es mir dann aufzustehen. Ich bin fertig, meine Kraft ist alle.
Mit nur 49 Bar hätte in letzter Sekunde wirklich nichts schief gehen dürfen.
Der Helfer versucht sofort, Christine mit dem Seil zu Hilfe zu kommen, verfehlt
aber Christines ausgestreckte Hand mehrfach und eilt dann zu einer anderen
Gruppe, die noch weiter draußen an der Riffkante um Hilfe ruft. Die Kamera fest
umklammernd muss ich tatenlos zusehen wie Christine sich Meter um Meter auf dem
Riffdach nach vorne kämpft und dann endlich neben mir steht. Die Strömung ist
auf dem gesamten Riffdach noch so stark, dass wir fast erneut umgerissen werden.
Nach
kurzer Verschnaufpause und in seichterem Wasser
angekommen, halten wir nach anderen Tauchern Ausschau. Die meisten haben es
nicht in den Kanal geschafft und beschlossen, am Außenriff inmitten der
Brandungswelle aufzutauchen. Nur eine Gruppe um Andy hat sich noch bis zur
Hälfte des Kanals vorgekämpft. Aus dieser Gruppe löst sich dann ein
Blondschopf, und wir sehen nur eine Flasche, die scheinbar schwimmend sich
Stück für Stück auf uns zu bewegte. Wenige Meter von uns entfernt erkennen
wir dann Andrea, die erleichtert das letzte Stück zurücklegt. Mit vereinten
Kräften können wir sie aufrichten und machen uns, unfähig noch anderen zu
helfen, auf den Weg ans Ufer.
Nach und nach kommen alle am Ufer an. Nicht nur die
Anstrengung ist jedem in das Gesicht geschrieben. Einige Ausrüstungsteile
gingen bei dem langen Weg über das Riff zu guter Letzt dann auch noch verloren.
Da bis auf Christine alle ohne Handschuhe abgetaucht waren, müssten zahlreiche
Wunden an den Händen desinfiziert werden. Andy hatte sogar eine tiefe
Schnittwunde im Knie, die getaped werden musste.
Nachdem der Schreck verklungen war und uns dank unserer eigenen Vorsicht
nichts passiert war, konnten wir uns dann doch für dieses nur 39 Minuten
dauernde Abenteuer begeistern. Der Einstieg durch den Kanal war super. Schade,
das man nicht nur diesen Teil buchen kann. Trotzdem haben wir noch einiges
dazugelernt. Ich werde, wenn ich die Handschuhe schon in den Taschen habe, diese
vor dem Tauchgang auch anziehen. Ganz wichtig: Die teure Kamera bekommt einen
Haken, mit dem man diese am Jacket für weitere Vorfälle sichern kann. Das
Problem mit dem über das Riffdach und durch den Kanal ablaufenden Wasser haben
wir deutlich unterschätzt. Nur zwei Stunden später -bei Ebbe- wäre dies ein
problemloser Tauchgang gewesen.
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